Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

Vorzeitiger „Maßnahmenbeginn“ ist nicht stets förderschädlich

Verfasst von

Dr. Engin Ciftci

Hintergrund

Nach der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) können staatliche Beihilfen für bestimmte Gruppen Fördermaßnahmen ohne eine vorherige Notifizierung bei der EU-Kommission gewährt werden. Eine wesentliche Voraussetzung dieser Freistellungsmöglichkeit ist in Art. 6 AGVO verankert. Der sog. „Anreizeffekt“ ermöglicht die Förderung von Vorhaben nur, wenn der Empfänger vor Beginn der Arbeiten einen entsprechenden Förderantrag gestellt hat. Dadurch soll sichergestellt werden, dass nur die Vorhaben gefördert werden, die ohne die staatliche Beihilfe nicht verwirklicht werden könnten.

Ausschlaggebend ist das Merkmal der Antragsstellung vor Maßnahmenbeginn. Dabei ist die Maßnahme nicht erst begonnen, wenn mit der Ausführung begonnen wurde; bereits Planungsleistungen können als Maßnahmenbeginn eingeordnet werden. Ein Vorhaben ist in der Regel begonnen, wenn Verträge in Bezug auf wesentliche Planung und die Ausführung des Vorhabens abgeschlossen worden sind. Maßgeblich ist, ob der Förderempfänger mit dem Vertragsabschluss in unumkehrbarer Weise Verpflichtungen eingegangen ist. Es liegt hingegen kein Beginn der Maßnahme vor, wenn der Vertrag mit einem eindeutigen Rücktrittsrecht für den Fall eingegangen wurde, dass die beantragte Förderung abgelehnt wird. Dies ist in der Rechtsprechung anerkannt. Dem Rücktritt steht gleich, wenn der Vertrag unter Vorbehalt oder unter einer aufschiebenden Bedingung der Bewilligung der Fördermittel abgeschlossen wird. 

Umfang der Förderschädlichkeit maßgeblich

Das OVG NRW entschied jüngst (Aktenzeichen: 4 A 2549/20), dass Förderungen trotz vorherigen Abschlusses von Ingenieurverträgen in besonderen Fällen rechtmäßig sein können. Die Antragstellerin begehrte Zuwendungen aus einem Investitionsprogramm des Landes NRW. Dabei schloss sie vor Förderantragstellung Honorarverträge mit den Ingenieuren ab, in denen Planungsleistungen vereinbart waren. Nach Erlass eines Zuwendungsbescheides wurde in der Folgezeit die Rücknahme angeordnet mit der Begründung, dass bereits vor Förderbewilligung mit der Maßnahme begonnen worden sei.

Das OVG hat entschieden, dass die Zuwendungen nicht rechtswidrig ergangen worden sind und der Rücknahmebescheid daher aufzuheben ist. Während die Behörde bei der Entscheidung über eine in ihrem Ermessen stehende Subventionsvergabe Entscheidungsspielräume und in gewissem Umfang die Interpretationshoheit über die einschlägigen Verwaltungsvorschriften hat, kommt die Rücknahme bereits gewährter Zuwendung nur in Betracht, wenn diese gegen eine Rechtsnorm verstößt und deshalb nicht hätte erfolgen dürfen.

Die Bewilligung sei nicht entgegen einer in der Vergangenheit geübten Verwaltungspraxis ergangen, sodass kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt. Weiterhin stellt das Gericht fest, dass Förderrichtlinien keine verbindlichen Rechtssätze sind, deren Verletzung zwangsläufig zum Förderausschluss führt. Zwar entspricht es bei Maßnahmen, mit denen vor der Bewilligung begonnen wird der Annahme, dass eine Verwirklichung des Vorhabens auch ohne Förderung erfolgen wird, jedoch sei eine Einzelfallbetrachtung gerade in Hinblick auf die Realisierbarkeit des Vorhabens erforderlich.

In dem vorliegenden Fall wurden vor Antragstellung Honorarverträge mit den Ingenieuren abgeschlossen, die Planungsleistungen beinhalteten. Die Grenze zwischen der förderunschädlichen Planungsleistung und der förderschädlichen Ausführung kann im Einzelfall nicht eindeutig sein. Als Orientierungspunkte dienen die einzelnen Leistungsphasen nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), wobei ab der Leistungsphase 6 eine kritische Einzelfallbetrachtung vorzunehmen ist. Das Gericht führte aus, dass die vorliegend vereinbarte Planungsleistung nicht die konkrete Absicht belege, das Vorhaben zu verwirklichen. Auch sei wegen des geringen Anteils des Honorars in Relation zu den Kosten des Gesamtvorhaben bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht ohne Weiteres anzunehmen, dass das Vorhaben notfalls auch ohne Förderung durchgeführt werde. Aufgrund der geringen Förderschädlichkeit der Maßnahme und der Gesamtbetrachtung der Kosten seien daher trotz vorzeitigen Abschlusses eines Ingenieurvertrages Förderungen zu gewähren.

Ausblick

Die Ausführungen des OVG NRW haben eine erhebliche Relevanz für staatliche Förderungen, da die erfolgreiche Beantragung von Fördermitteln maßgeblich vom Anreizeffekt / fehlenden Maßnahmenbeginn abhängt. Dies kann im Einzelfall sehr komplex sein und erfordert mitunter eine bewertende Sicht der vor Antragstellung erfolgten Handlungen. Jegliche eingegangenen Verträge mit Bezug zum Vorhaben, für das Förderung beantragt wird, sind darauf hin zu überprüfen, ob die Grenze zur Förderschädlichkeit überschritten ist. Eine allgemeine Linie zwischen Planung und Ausführung ist nicht immer hilfreich. Folgt man dem OVG NRW, ist jedenfalls nicht jedweder Vertrag in der Planungsphase schädlich.

Ob sich die Ausführungen des OVG NRW auf das EU-Beihilfenrecht übertragen lassen, ist kritisch zu sehen. Anders als in dem Fall vor dem OVG NRW beruht im EU-Beihilfenrecht das Verbot des vorzeitigen Maßnahmenbeginns nicht auf einer rechtlich unverbindlichen Richtlinie, sondern auf einer unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbaren AGVO-Regelung (Art. 6). Jedenfalls sollte die interessierte Öffentlichkeit die Rechtsprechung insoweit im Blick halten, zumal das OVG NRW hier die Revision aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen hat.