Überblick über die 11. GWB-Novelle („Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“, Entwurf der Bundesregierung)
Die Bundesregierung hat am 5. April 2023 die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“), das sog. Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz, beschlossen. Der Regierungsentwurf wird nun in Bundestag und Bundesrat erörtert. Zuvor hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz am 26. September 2022 einen Referentenentwurf veröffentlicht, der sich nur wenig vom jetzt veröffentlichten Regierungsentwurf unterscheidet.
Die 11. GWB-Novelle enthält weitreichende Veränderungen, die teilweise deutlich die Grenzen des herkömmlichen Kartellrechts überschreiten. Mit den neuen weitreichenden Eingriffsbefugnissen soll das Bundeskartellamt zu einer, wie Bundesjustizminister Buschmann es ausdrückt, „Wettbewerbsbehörde mit Biss“ werden.
1. Neue Eingriffsbefugnisse für das Bundeskartellamt im Anschluss an eine Sektoruntersuchung
Das Instrument der Sektoruntersuchung ermöglicht dem Bundeskartellamt die Gewinnung wichtiger Erkenntnisse über die Wettbewerbsverhältnisse auf den untersuchten Märkten. Dabei soll künftig auch der Monopolkommission das Recht eingeräumt werden, Empfehlungen für die Durchführung von Sektoruntersuchungen auszusprechen. Das Bundeskartellamt soll verpflichtet werden, Stellung zu nehmen, falls es solchen Empfehlungen nicht innerhalb von 12 Monaten folgt (§44 GWB n.F.).
Aktuell haben viele Untersuchungen jedoch eine lange Verfahrensdauer. Die Verfahrensdauer soll mit dem neuen §32f Abs. 7 GWB n.F. auf 18 Monate beschränkt werden.
Außerdem übernimmt die 11. GWB-Novelle mit §32f Abs. 2 GWB n.F. zunächst die jetzt schon bestehende Möglichkeit, Unternehmen nach abgeschlossener Sektoruntersuchung für einen Zeitraum von drei Jahren zur Anmeldung von Zusammenschlüssen unterhalb der Anmeldeschwellen zu verpflichten, und senkt dabei die relevanten Umsatzschwellen erheblich ab. Eine Anmeldepflicht soll zukünftig bereits für Erwerber mit Umsatzerlösen im Inland von mehr als EUR 50 Millionen und des zu erwerbenden Unternehmens von mehr als EUR 500.000 eingeführt werden können. Die ursprüngliche Vorschrift in §39a GWB wird aufgehoben. Die Anmeldepflicht mit den deutlich niedrigeren Umsatzschwellen kann nach §187 Abs. 11 GWB n.F. auch auf der Grundlage einer Sektoruntersuchung erlassen werden, die bei Inkrafttreten der 11. GWB-Novelle bereits abgeschlossen war und nicht mehr als ein Jahr zurückliegt.
Daneben werden Sektoruntersuchungen bisher nur mit einem Bericht des Bundeskartellamtes abgeschlossen, Abhilfemaßnahmen sind nicht vorgesehen. Stattdessen ist es bisher erforderlich, anschließend auf der Grundlage konkreter Anhaltspunkte Verfahren gegen einzelne Unternehmen zu führen. Mit § 32f GWB n.F. soll das Bundeskartellamt nun umfangreiche neue Eingriffsbefugnisse erhalten, mit dem es Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen nach einer Sektoruntersuchung ergreifen kann. Neu ist dabei auch, dass die Maßnahmen unabhängig von Kartellrechtsverstößen durch ein Unternehmen ergriffen werden können.
Voraussetzung für das Ergreifen von weiteren Maßnahmen soll nach § 32f Abs. 3 GWB n.F. sein, dass
- das Bundeskartellamt eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem mindestens bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend feststellt, und
- die Anwendung der sonstigen Befugnisse des Bundeskartellamtes voraussichtlich nicht ausreicht, um der festgestellten Störung des Wettbewerbs entgegenzuwirken.
§ 32f Abs. 5 GWB n.F. konkretisiert, dass eine Störung des Wettbewerbs insbesondere in den folgenden Fällen vorliegen kann:
- unilaterale Angebots- oder Nachfragemacht,
- Beschränkungen des Marktzutritts, des Marktaustritts oder der Kapazitäten von Unternehmen oder des Wechsels zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager,
- gleichförmiges oder koordiniertes Verhalten, oder
- Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen.
Berücksichtigt werden sollen die folgenden Faktoren:
- Anzahl, Größe, Finanzkraft und Umsätze der auf den betroffenen Märkten oder marktübergreifend tätigen Unternehmen, die Marktanteilsverhältnisse sowie der Grad der Unternehmenskonzentration,
- Verflechtungen der Unternehmen auf den betroffenen, den vor- und nachgelagerten oder in sonstiger Weise miteinander verbundenen Märkten,
- Preise, Mengen, Auswahl und Qualität der angebotenen Produkte oder Dienstleistungen auf den betroffenen Märkten,
- Transparenz und Homogenität der Güter auf den betroffenen Märkten,
- Verträge und Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf den betroffenen Märkten,
- Grad der Dynamik auf den betroffenen Märkten sowie
- dargelegte Effizienzvorteile, insbesondere Kosteneinsparungen oder Innovationen, bei angemessener Beteiligung der Verbraucher.
Als fortwährend soll die Störung des Wettbewerbs angesehen werden, wenn
- diese über einen Zeitraum von drei Jahren dauerhaft vorgelegen hat oder wiederholt aufgetreten ist und
- zum Zeitpunkt der Verfügung keine Anhaltspunkte bestehen, dass die Störung innerhalb von zwei Jahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entfallen wird.
Adressaten der Feststellungsverfügung und der Maßnahmen können Unternehmen sein, die nach Ansicht des Bundeskartellamtes durch ihr Verhalten zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen.
Das Bundeskartellamt kann nach Feststellung einer Wettbewerbsstörung „alle Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben, die zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlich sind“. Ermöglicht werden sollen nach § 32f Abs. 3 GWB n.F. – ohne Verstoß gegen geltendes Recht (!) – insbesondere die folgenden weitreichenden Eingriffe:
- die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen,
- Vorgaben zu den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen,
- Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards durch Unternehmen,
- Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung,
- das Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen,
- die organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen.
Als ultima ratio soll das Bundeskartellamt nach § 32f Abs. 4 GWB n.F. auch die Entflechtung verlangen, also Unternehmen verpflichten können, Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern, wenn
- zu erwarten ist, dass durch diese Maßnahme die Störung des Wettbewerbs beseitigt oder erheblich verringert wird, und
- andere Abhilfemaßnahmen nicht möglich sind, nicht von gleicher Wirksamkeit oder im Vergleich zur Entflechtung mit einer größeren Belastung für das Unternehmen verbunden wären, und
- es sich um ein marktbeherrschendes Unternehmen oder ein Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a Abs. 1 GWB handelt.
Die Entflechtung darf sich allerdings nicht auf Vermögensteile beziehen, die innerhalb der letzten 10 Jahre Gegenstand einer fusionskontrollrechtlichen Freigabeentscheidung waren.
Soweit bei Verfügung einer Entflechtung der tatsächliche Verkaufserlös den vom zu beauftragenden Wirtschaftsprüfer festgestellten Wert unterschreitet, ist eine Kompensation vorgesehen, und zwar in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen dem festgestellten Wert und dem tatsächlichen Verkaufserlös.
Abhilfemaßnahmen sollen nach § 32f Abs. 8 in regulierten Märkten (Eisenbahn, Post, Telekommunikation, Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze) vom Bundeskartellamt nur mit Einvernehmen der Bundesnetzagentur ergriffen werden können.
2. Vereinfachung der Vorteilsabschöpfung bei Kartellrechtsverstößen
Um zusätzliche Anreize gegen Kartellrechtsverstöße zu setzen, wurde 1999 das Instrument der kartellrechtlichen behördlichen Vorteilsabschöpfung eingeführt, dieses kam aber noch nie zur Anwendung. Dies soll sich durch die mit der 11. GWB-Novelle zu erfolgenden Absenkung der Anforderungen an die Abschöpfung nun ändern.
Es wird eine Vermutung eingeführt, dass bei Vorliegen eines schuldhaften oder fahrlässigen Verstoßes gegen die kartellrechtlichen Vorschriften dem Unternehmen ein wirtschaftlicher Vorteil entstanden ist (Vermutung dem Grunde nach).
Die Höhe des wirtschaftlichen Vorteils kann geschätzt werden, wobei eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreicht.
Es wird die Vermutung einer bestimmten Höhe des wirtschaftlichen Vorteils eingeführt. Vermutet wird, dass der wirtschaftliche Vorteil mindestens 1 % der Inlandsumsätze mit den mit dem Verstoß in Zusammenhang stehenden Produkten oder Dienstleistungen beträgt.
Die Widerlegung der Vermutung ist nur möglich, wenn das Unternehmen nachweist, dass weder die am Verstoß unmittelbar beteiligte juristische Person oder Personenvereinigung noch das Unternehmen im Abschöpfungszeitraum einen Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat. Maßgeblich ist dabei der weltweite Gewinn der wirtschaftlichen Einheit. Nicht vorgebracht werden kann, dass kein wirtschaftlicher Vorteil oder ein Vorteil in nur geringer Höhe angefallen ist.
Der abzuführende Geldbetrag ist zahlenmäßig zu bestimmen und wird auf maximal 10 % des in dem der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes gedeckelt.
Die Fristen werden nicht geändert. Es bleibt bei einer Frist von sieben Jahren nach Beendigung des Verstoßes bei einem maximalen Abschöpfungszeitraum von fünf Jahren.
3. Nationale Durchsetzung des DMA
Die 11. GWB-Novelle bereitet den Weg für Untersuchungen von DMA-Verstößen durch das Bundeskartellamt und für die private Durchsetzung des Digital Market Act („DMA“), der den sog. digitalen Torwächtern („Gatekeepern“) ab dem 2. Mai 2023 besondere Verpflichtungen auferlegt.
Alleinige Durchsetzungsbehörde des DMA ist zwar die Europäische Kommission. Dennoch sieht der DMA auch die Einbindung der nationalen Wettbewerbsbehörden vor, insbesondere dürfen diese auf eigene Initiative hin mögliche DMA-Verstöße auf ihrem Hoheitsgebiet untersuchen (Art. 38 Abs 7 DMA). Die für die Untersuchung erforderlichen Kompetenzen wird § 32g GWB n.F. dem Bundeskartellamt verleihen. Diese entsprechen denen in Kartellverfahren.
Daneben ermöglicht und erleichtert die 11. GWB-Novelle die private Durchsetzung des DMA, die im DMA vorausgesetzt wird.
- Die für kartellrechtliche Privatklagen geltenden Erleichterungen werden auch auf DMA-Verstöße für anwendbar erklärt.
- Es wird wie im Kartellrecht eine Zuständigkeitskonzentration herbeigeführt, sodass die Kartellspruchkörper auch für DMA-Streitigkeiten zuständig sind (§§ 87, 89 GWB).
- Dem Bundeskartellamt wird ermöglicht, sich in Gerichtsverfahren mit Bezug zum DMA als amicus curiae in die Verfahren einzubringen.
- Die Zusammenarbeit der nationalen Gerichte mit der Europäischen Kommission wird geregelt.
4. Fazit
Wie oben dargelegt, enthält die 11. GWB-Novelle weitreichende Veränderungen, die teilweise deutlich die Grenzen des herkömmlichen Kartellrechts überschreiten.
Im Vergleich zum Referentenentwurf ist die 11. GWB-Novelle im Regierungsentwurf jedoch an einigen Stellen abgeschwächt worden, v.a. auch um der Eingriffstiefe der neuen Befugnisse gerecht zu werden und verfassungsrechtliche Bedenken auszuräumen. Der sehr weite Begriff der Störung des Wettbewerbs wurde konkretisiert. Die neuen Eingriffsbefugnisse nach Sektoruntersuchungen können nur angewendet werden, wenn die bisher schon verfügbaren Instrumente des Bundeskartellamts nicht ausreichen. Die vielfach kritisierte Entflechtungsmöglichkeit wurde eingeschränkt und ist nunmehr nur auf marktbeherrschende Unternehmen und Unternehmen iSd. § 19a GWB anwendbar. Fusionskontrollrechtliche Freigaben haben im Hinblick auf die Entflechtung 10 Jahre – und nicht nur wie bisher angedacht 5 Jahre – Bestandsschutz. Die Entflechtung wurde zudem um die oben beschriebene Kompensationsmöglichkeit ergänzt. Rechtsmittel gegen Entflechtungsmaßnahmen werden aufschiebende Wirkung haben (§ 66 Abs. 1 GWB n.F.), wodurch die Entflechtung als kurzfristiges Mittel der Marktgestaltung ausscheidet. Abhilfemaßnahmen erfordern eine öffentliche mündliche Verhandlung. Eingriffe nach Sektoruntersuchungen auf regulierten Märkten sind nur im Einvernehmen mit der Bundesnetzagentur möglich. Die erleichterte Vorteilsabschöpfung erfordert, anders als noch im Referentenentwurf, ein Verschulden. Auf die Verschärfung des Fristenregimes bei der Vorteilsabschöpfung wird verzichtet.
Es bleibt abzuwarten, ob durch Bundestag und Bundesrat weitere Änderungen erfolgen. Spannend bleibt auch, wie das Bundeskartellamt die neuen Befugnisse letztlich in der Praxis leben wird, insbesondere auf welchen Sektoren Untersuchungen eingeleitet werden. Hierüber kann bisher nur spekuliert werden. Das BMWK hatte bei Veröffentlichung des Referentenentwurfs auf die Situation an den „Zapfsäulen“ verwiesen. Beide Entwürfe betonen die Parallelen zu Großbritannien und verweisen auf die dort mit einem ähnlichen Instrument erzielten Erfolge im Finanzsektor, im Großhandel und bei Flughäfen, so dass auch diese Sektoren ins Visier des Bundeskartellamtes rücken könnten.