Gesellschaftsrecht

Pflicht zur Krisenfrüherkennung für die Geschäftsleitung

Verfasst von

David Santa

Dr. Robert Schiller

Einleitung

In der heutigen dynamischen Wirtschaftswelt ist die frühzeitige Erkennung von Unternehmenskrisen von entscheidender Bedeutung. Die Geschäftsleitung trägt hierbei eine besondere Verantwortung, um rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Krisenabwendung oder Sanierung des Unternehmens zu ergreifen. Die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland, geprägt von Unsicherheiten und Herausforderungen durch die Nachwehen der COVID-19-Pandemie, geopolitische Spannungen und Lieferkettenprobleme, erhöht das Risiko von Unternehmenskrisen und unterstreicht die Notwendigkeit einer effektiven Krisenfrüherkennung. Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen und Pflichten der Geschäftsleitung im Rahmen der Krisenfrüherkennung und gibt praxisnahe Hinweise zur Umsetzung.

Rechtliche Grundlagen

Die generelle Pflicht zur Krisenfrüherkennung für die Geschäftsleitung ergibt sich aus verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung. So etwa:

  • § 1 StaRUG: Das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) verpflichtet die Geschäftsleitung zur Einrichtung eines Krisenfrüherkennungssystems. Dieses System soll es ermöglichen, finanzielle Schwierigkeiten frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Regelung in § 1 StaRUG hat jedoch mehr eine klarstellende Wirkung als eine konstituierende Wirkung. Denn Pflicht zu einer frühzeitigen Erkennung von Risiken ergab sich bereits vor der Einführung des StaRUG unter anderem aus den gesellschaftsrechtlichen Pflichten für die Geschäftsleitung (§ 43 GmbHG, § 91 AktG).
  • § 43 GmbHG: Nach dem GmbH-Gesetz ist die Geschäftsleitung verpflichtet, die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden. Dies umfasst auch die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und -bewältigung.
  • § 91 Abs. 2 AktG: Für Aktiengesellschaften besteht die Pflicht, ein Überwachungssystem einzurichten, das Entwicklungen frühzeitig erkennt, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden könnten. 
  • Grundsatz 4 des DCGK (Deutscher Corporate Governance Kodex): sieht die Einrichtung eines geeigneten und wirksamen internen Kontroll- und Risikomanagementsystems vor

Pflichten der Geschäftsleitung

Die Geschäftsleitung hat die Aufgabe ein effektives Krisenfrüherkennungssystem zu implementieren und kontinuierlich zu überwachen. Zu den wesentlichen Pflichten gehören hierbei:

  1. Einrichtung eines Frühwarnsystems: Die Geschäftsleitung muss ein System zur Überwachung der finanziellen Lage des Unternehmens einrichten. Dies umfasst u.a. regelmäßige Finanzanalysen, Liquiditätsplanungen und Risikobewertungen.
  2. Regelmäßige Überprüfung: Das Frühwarnsystem muss regelmäßig überprüft und an veränderte wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen angepasst werden. Eine verlässliche Überprüfung bedingt auch die Schulung der Mitarbeitenden, um sicherzustellen, dass alle für die Früherkennung relevanten Informationen erfasst und somit ausgewertet werden können.
  3. Dokumentation: Alle Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung und -bewältigung müssen sorgfältig dokumentiert werden. Dies dient nicht nur der internen Nachvollziehbarkeit, sondern auch der Vermeidung von Haftungsrisiken.
  4. Ergreifen von Gegenmaßnahmen: Bei erkannten Krisensignalen muss die Geschäftsleitung unverzüglich geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Dies kann die Einleitung von Sanierungsmaßnahmen, die Restrukturierung von Verbindlichkeiten oder die Suche nach externen Finanzierungsmöglichkeiten umfassen.

Haftung der Geschäftsführung

Die Unterlassung erforderlicher Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung kann erhebliche Haftungsrisiken für die Geschäftsführung mit sich bringen. 

Eine Haftung der Geschäftsleitung ist regelmäßig dann denkbar, wenn bei Anwendung der ordnungsgemäßen Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes die Einrichtung und Unterhaltung eines Systems zur Krisenfrüherkennung auf Grund der Umstände erforderlich war und die Geschäftsleitung dies sorgfaltswidrig und schuldhaft unterlässt.

Unterbleibt die Einrichtung, Überwachung und Dokumentation eines Risikofrüherkennungssystems, kann dies auch zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen über die Entlastung des Geschäftsführungsorgans führen.

Praktische Umsetzung

Die praktische Umsetzung der Krisenfrüherkennung erfordert ein systematisches Vorgehen. Folgende Schritte sind grundsätzlich empfehlenswert:

  • Analyse der Unternehmenssituation: Eine gründliche Analyse der aktuellen finanziellen Lage und der Risikofaktoren ist der erste Schritt. Hierbei sollten sowohl interne als auch externe Faktoren berücksichtigt werden.
  • Entwicklung eines Maßnahmenplans: Auf Basis der Analyseergebnisse sollte ein Stab aus der Geschäftsleitung und externen Beratern einen detaillierter Maßnahmenplan entwickeln. Dieser Plan sollte konkrete Schritte zur Stabilisierung und Sanierung des Unternehmens enthalten.
  • Kommunikation und gesellschaftsrechtliche Maßnahmen: Eine offene und transparente Kommunikation mit allen Stakeholdern, einschließlich Mitarbeitenden, Gläubigern und Kunden, ist entscheidend für den Erfolg der Sanierungsmaßnahmen. Mögliche gesellschaftsrechtliche Maßnahmen zur Krisenbewältigung könnten etwa die Änderung der Gesellschaftsverträge, Kapitalerhöhungen oder verschiedene Umwandlungsmaßnahmen (etwa Ab- oder Aufspaltung oder auch Verschmelzung defizitärer Unternehmensteile oder ganzer Gesellschaften; Carve-Out) umfassen.

Fazit

Die Pflicht zur Krisenfrüherkennung ist eine zentrale Aufgabe der Geschäftsleitung und unerlässlich für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens. Durch die Implementierung eines effektiven Frühwarnsystems und die rechtzeitige Ergreifung geeigneter Maßnahmen kann die Geschäftsleitung nicht nur rechtliche Risiken für das Unternehmen und auch sich selbst minimieren, sondern auch die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sichern. Ein proaktiver Umgang mit Krisen ist daher nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auch ein wesentlicher Bestandteil einer verantwortungsvollen Unternehmensführung. Die derzeitige wirtschaftliche Situation in Deutschland macht diese Pflicht umso dringlicher, und die Geschäftsleitung muss sich dieser Herausforderung mit der gebotenen Sorgfalt und Entschlossenheit stellen.