Parteien zur Wahl – Quo vadis, deutsches Gesellschaftsrecht?
Der Countdown zur vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 läuft. Was passiert nach dem 23. Februar 2025? Welche Parteien werden koalieren? Was bedeutet das für Unternehmen am Standort Deutschland?
Auf der Agenda der Parteien stehen Änderungen im Gesellschaftsrecht, Erleichterungen bei Gründungen/für Start-ups, die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung sowie, wenngleich aktuell nicht als Topthema, die Nachhaltigkeit.
Gesellschaftsrecht neu gedacht?
Im deutschen Gesellschaftsrecht gelten der Numerus Clausus der Gesellschaftsformen und der Rechtsformzwang. Der Gesetzgeber gibt die zur Verfügung stehenden Gesellschaftstypen abschließend vor und die bestehenden Rechtsformen sind ausschließlich innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Gestaltungsoptionen abänderbar.
Die Wahlprogramme von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und BSW sehen vor, die gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu erweitern, durch die Einführung einer neuen Rechtsform: die „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“, auch bekannt unter der Bezeichnung „Unternehmen in Verantwortungseigentum“.
Gesellschaftsformen im Ausland, die konzeptionell ähnliche Gestaltungsoptionen vorsehen und als Vorbilder gelten, sind beispielsweise die Entreprise Solidaire d’Utilité Sociale in Frankreich, die aktiebolag med särskild vinstutdelningsbegränsning in Schweden, die Benefit Corporation in den USA und die Società Benefit in Italien.
Neu ist der Vorschlag nicht; die Ampelkoalition hatte die „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ bereits in den Koalitionsvertrag 2021–2025 aufgenommen. Nach vielen Diskussionen wurde letztmalig im September 2024 ein Gesetzentwurf für eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen veröffentlicht.
Kernelemente der gewünschten neuen Gesellschaftsform sind der persönlich engagierte Gesellschafter „mit Gesicht“, der als temporärer Treuhänder seine Stellung mit Ende des Engagements innerhalb einer „Fähigkeiten- und Wertefamilie“ weitergibt und die Vermögensbindung, wonach Gewinne nicht ausgeschüttet werden können, sondern Überschüsse des laufenden Betriebs für unternehmerische, gemeinnützige oder gemeinwohlorientierte Zwecke genutzt werden.
CDU/CSU möchten einen anderen Weg einschlagen. Ihr Motto lautet, das Aktienrecht zu modernisieren und zu flexibilisieren; die Möglichkeiten von Kapitalerhöhungen sollen ausgeweitet und Mindestnennwerte von Aktien herabgesetzt werden
Gründungen/Start-ups
Die Parteien sind sich weitgehend einig, dass Unternehmertum und Start-up-Förderung eine zentrale Rolle für die Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland sind.
Auf Vorschlag der CDU/CSU sollen Vertragsverhandlungen berechenbarer, schneller und zuverlässiger gemacht werden, indem Musterverträge für Ausgründungen sowie für Kooperationen mit Start-ups erarbeitet werden. Die SPD will den Übergang von der Forschungsidee bis hin zur Marktreife gezielt unterstützen, mit Hilfe von Inkubatoren, Gründungszentren und regionalen Innovationsclustern. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte Gründer:innen in One-Stop-Shops Begleitung und Beratung aus einer Hand anbieten. Auch die FDP möchte Bürokratie abbauen, gerade für kleine und mittlere Unternehmen sowie Familienunternehmen, Startups und Scale-ups, die Zeit und Flexibilität für ihr Wachstum verlieren. Das BSW nennt für die kleinen und mittleren Unternehmen insbesondere die Befreiung von Berichtserstattungs- und Dokumentationspflichten.
Mitbestimmung
Mit unterschiedlichen Schwerpunkten nehmen sich die Wahlprogramme auch dem Thema Mitbestimmung an. Dabei betrifft die betriebliche Mitbestimmung die Teilhabe der Arbeitnehmer an für sie bedeutsamen personellen, sozialen und organisatorischen Entscheidungen, die innerhalb des Betriebes anfallen. Bei der unternehmerischen Mitbestimmung geht es um den Einfluss der Arbeitnehmer auf unternehmenspolitische Entscheidungen auf der Ebene der Unternehmensleitung durch Wahl und Kontrolle der Leitungsorgane (klassischerweise im Wege der Kontrolle des Vorstands bzw. der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat).
Die CDU/CSU planen die Mitbestimmung zu stärken und namentlich sicherzustellen, dass Betriebsratsgründungen nicht verhindert werden. Daneben sollen Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen ermöglichen sowie im Betriebsverfassungsgesetz die Option verankern werden, online zu wählen und digitale Zugangsrechte klarzustellen.
Die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung beabsichtigen auch Bündnis 90/Die Grünen, um – in Zeiten von Veränderungsprozessen – Vertrauen und Akzeptanz gut qualifizierter Beschäftigter zu schaffen. Die betriebliche Mitbestimmung soll auf Mitbestimmungsrechte in Sachen Klima- und Umweltschutz, Qualifizierungsmaßnahmen sowie Gleichstellung im Betrieb erweitert werden.
Im Programm der SPD heißt es, dass das Betriebsverfassungsgesetz reformiert und die Mitbestimmung der Betriebsräte bei bestimmten Themen zu echten Mitbestimmungsrechten mit Einigungserfordernis ausgebaut werden soll. Die Behinderung demokratischer Mitbestimmung soll künftig als Offizialdelikt eingestuft werden. Es müsse in Unternehmen einen gesetzlich festgelegten Mindestkatalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte im Aufsichtsrat geben; Schlupflöcher zur Umgehung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat – wie zum Beispiel bei der Aushebelung der Mitbestimmung durch europäisches Gesellschaftsrecht – sollen geschlossen werden.
Die Linke plant ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht u. a. bei Betriebsschließungen und Verlagerung von Arbeitsplätzen. Im Hinblick auf die unternehmerische Mitbestimmung fordert sie eine paritätische Mitbestimmung in allen privaten und öffentlichen Unternehmen ab 500 Beschäftigten.
Das BSW verlangt, dass große Unternehmen in Schlüsselbranchen, die staatliche Unterstützung erhalten, für eine stärkere Mitbestimmung der Beschäftigten geöffnet werden sollten. Betriebsratsgründungen sollen erleichtert werden. Darüber hinaus sollen Beschäftigte auch bei strategischen Unternehmensentscheidungen beteiligt werden. Schlupflöcher aus den deutschen Mitbestimmungsstandards, wie sie sich etwa aus einer Rechtsformumwandlung in eine europäische Aktiengesellschaft ergeben, wollen sie schließen.
Das Thema Mitbestimmung – so scheint es – bleibt weiterhin in der Diskussion.
Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit findet sich im Gesellschaftsrecht in den ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, Governance) bei Geschäftspraktiken und -entscheidungen von Unternehmen wieder. Die Parteien scheinen bei den Nachhaltigkeitsthemen in diesem Wahlkampf zurückhaltender zu sein. Hier ein Querschnitt der in den Wahlprogrammen geäußerten Pläne:
Die SPD ist der Ansicht, dass mit der EU-Lieferkettenrichtlinie klare Regelungen und gleiche Voraussetzungen für alle Unternehmen in Europa geschaffen worden seien. Die EU-Lieferkettenrichtlinie soll nach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unbürokratisch in deutsches Recht übertragen werden, damit Verbraucher:innen in Europa sicher sein können, dass Produkte, die sie in Europa kaufen, frei von Ausbeutung und Kinderarbeit entstanden sind. Die Linke will das Lieferkettengesetz erhalten und die zentralen Regelungen in Bezug auf Einhaltung von Menschenrechten, Arbeits- und Gesundheitsschutz und Bekämpfung von Kinderarbeit stärken. Darüber hinaus verlangt sie ein stärkeres Lieferkettengesetz, das Beschwerdemechanismen für Betroffene und Haftungsregeln bei Verstößen der unternehmerischen Sorgfaltspflichten enthält.
Die CDU/CSU hingegen will das deutsche Lieferkettengesetz abschaffen, der Regulierung für nachhaltige Investitionen (Taxonomie) oder der Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting) soll ein Riegel vorgeschoben werden. So sieht es das BSW ebenfalls und will die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sofort aussetzen und sich für eine Reform des Lieferkettengesetzes einsetzen. Auch bei der FDP ist Abschaffung der Berichtspflichten aus dem „Green Deal“ der EU-Kommission das Ziel. Wenn es nach ihr geht, sorgen die EU-Taxonomie, die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive), die EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) oder der Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft in erster Linie für Frust in den Betrieben.