Änderung der Ad hoc-Publizität durch den EU Listung Act
Der EU-Gesetzgeber hat mit dem EU Listing Act ein Maßnahmenpaket geschaffen, um die Attraktivität der Teilnahme am Kapitalmarkt zu steigern. Der folgende Beitrag zeigt auf, welche Änderungen der Ad hoc-Publizitätspflicht sich daraus ab Juni 2026 ergeben werden, und beleuchtet die praktischen Auswirkungen.
1. Derzeit geltende Rechtslage
Emittenten sind verpflichtet, alle sie unmittelbar betreffenden Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen (Art. 17 Abs. 1 EU-VO 596/2014 – Marktmissbrauchsverordnung, MMVO). Es besteht somit eine unmittelbare Koppelung der Ad hoc-Publizität an den Insiderbegriff.
Bei zeitlich gestreckten Vorgängen, wie etwa einem M&A-Prozess, stellen neben dem finalen, zukünftigen Ereignis mitunter auch Informationen über erreichte Zwischenschritte eine eigenständige Insiderinformationen dar, mit den entsprechenden rechtlichen Konsequenzen. Ein Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen ist gemäß Art. 17 Abs. 4 MMVO bei zeitlich gestreckten Vorgängen möglich, wenn die Veröffentlichung die Interessen des Emittenten beeinträchtigen würde, der Aufschub zu keiner Irreführung der Öffentlichkeit führt und die Geheimhaltung der Insiderinformation sichergestellt ist. Sobald die Geheimhaltung einer Insiderinformation, deren Veröffentlichung aufgeschoben wurde, nicht mehr sichergestellt ist, muss der Emittent die Insiderinformation gemäß Art. 17 Abs. 7 MMVO unverzüglich veröffentlichen.
2. Änderungen durch den EU Listung Act
2.1 Insiderinformationen im Zusammenhang mit Zwischenschritten in zeitlich gestreckten Vorgängen
Durch die im EU Listung Act enthaltene Änderungsverordnung 2024/2809 (Listing Act-VO) wird Art. 17 Abs. 1 MMVO mit Wirkung zum 05. Juni 2026 derart geändert, dass Insiderinformationen im Zusammenhang mit Zwischenschritten in zeitlich gestreckten Vorgängen von der Ad hoc-Publizitätspflicht grundsätzlich ausgenommen werden. Stattdessen müssen künftig nur noch finale Ereignisse und Umstände unverzüglich nach ihrem Eintritt veröffentlicht werden. Die Ad hoc-Publizitätspflicht bleibt indes bestehen, wenn im Zusammenhang mit einem Zwischenschritt eine Insiderinformation vorliegt und die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist.
Insiderinformationen im Zusammenhang mit Zwischenschritten werden durch die Listing Act-VO auch keineswegs aus dem Anwendungsbereich des Insiderrechts ausgeklammert. Es kommt vielmehr zu einer teilweisen Entkoppelung des Insiderbegriffs von der Ad hoc-Publizitätspflicht. Liegt eine Insiderinformation im Zusammenhang mit einen Zwischenschritt vor, muss der Emittent auch künftig alle sonstigen gesetzlichen Anforderungen wie die Wahrung der Geheimhaltung, das Führen von Insiderlisten und die Insiderhandelsverbote beachten. Die Pflicht zur Geheimhaltung von nicht ad hoc-pflichtigen Insiderinformationen wird durch den neuen Art. 17 Abs. 1a MMVO-E sichergestellt.
Außerdem wird mit der Listing Act VO das wenig konkrete Tatbestandsmerkmal der Irreführung der Öffentlichkeit gemäß Art. 17 Abs. 4 lit b) MMVO durch die deutlich klarere Regelung ersetzt, dass die Insiderinformation, deren Veröffentlichung aufgeschoben werden soll, nicht in Widerspruch zur letzten öffentlichen Bekanntmachung oder sonstigen Kommunikation des Emittenten stehen darf.
2.2 Praktische Auswirkungen der Neuregelung
Durch die Neuregelung entfallen künftig (lediglich) das Erfordernis einer bewussten Entscheidung des Vorstands über den Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen zu Zwischenschritten und die Prüfung der für einen Aufschub erforderlichen Voraussetzungen gemäß Art. 17 Abs. 4 MMVO. Dagegen führt eine nicht gesicherte Vertraulichkeit auch weiterhin stets zur Ad hoc Publizitätspflicht, wenn es sich um eine Insiderinformation handelt. Dass die Vertraulichkeit nicht (mehr) gesichert ist, wird dabei gemäß dem neuen Art. 17 Abs. 7 UA 2 MMVO-E künftig vermutet, wenn ein hinreichend präzises Marktgerücht auf eine nicht offengelegte Insiderinformation Bezug nimmt.
Emittenten kommen somit auch künftig nicht umhin, Zwischenschritte von zeitlich gestreckten Vorgängen auf ihre insiderrechtliche Relevanz hin zu prüfen, um gegebenenfalls die insiderrechtlichen Anforderungen einzuhalten.
2.3 Zwischenschritt oder finales Ereignis?
Außerdem muss künftig stets geprüft werden, inwieweit sich die jeweilige Insiderinformation tatsächlich noch auf den Zwischenschritt eines zeitlich gestreckten Vorgangs oder bereits um einen ad hoc-pflichtigen, finalen Umstand im Sinne des Art. 17 Abs. 1 MMVO-E bezieht. Die Abgrenzung kann im Einzelfall Probleme bereiten, denn auch finale Ereignisse mögen mitunter als Zwischenschritt eines übergeordneten Vorgangs angesehen werden. Auch ist zu prüfen, ob ein über den reinen Zwischenschritt hinausgehender Informationsgehalt eine Ad hoc-Publizitätspflicht begründet. So können beispielsweise Zwischenschritte auf dem Weg zu einer Umstrukturierung nicht ad hoc-pflichtig sein, die Gründe für die Umstrukturierung aber schon. In Zweifelsfällen ist zu raten, die Veröffentlichung der Insiderinformation vorsorglich entsprechend den hierzu bestehenden Regelungen aufzuschieben.
Um die Rechtsanwendung zu erleichtern, wird die Europäische Kommission in Art. 17 Abs. 12 lit. a MMVO-E ermächtigt, eine nicht erschöpfende Liste finaler Ereignisse und Umstände in zeitlich gestreckten Vorgängen zu erstellen und hierfür jeweils Zeitpunkt des Eintritts und der Offenlegungspflicht darzulegen. Es ist zu hoffen, dass diese Liste möglichst viele praxisrelevante Konstellationen erfassen wird, so dass sich die verbleibende Rechtsunsicherheit auf ein Minimum reduziert. Der Entwurf einer entsprechenden Liste wird derzeit von der ESMA erarbeitet.
3. Fazit
Das Entfallen der Ad hoc-Publizitätspflicht für Insiderinformationen im Zusammenhang mit Zwischenschritten von zeitlich gestreckten Vorgängen zum 05. Juni 2026 wird für Emittenten eine spürbare Erleichterung bedeuten. Da die Neuregelung jedoch „nur“ zu einer Entkoppelung der Ad hoc-Publizitätspflicht vom Insiderbegriff führt und die mögliche Qualifikation eines Zwischenschritts als Insiderinformation sowie alle sonstigen insiderrechtlichen Folgen unberührt lässt, bleibt auch künftig eine sorgfältige Prüfung der Rechtslage erforderlich.
Darüber hinaus müssen Emittenten künftig prüfen, ob ein Ereignis lediglich einen Zwischenschritt oder bereits einen ad hoc-pflichtigen, finalen Umstand darstellt. Es ist zu hoffen, dass die von der Kommission zu erstellende Liste finaler Ereignisse damit verbundene Rechtsunsicherheiten und Abgrenzungsprobleme beseitigen wird.