Absolut, nicht relativ! – BayObLG entscheidet zur Zinsanpassung bei Prämiensparverträgen gegen den BGH: Absoluter Zinsabstand ist interessengerecht
Das Bayerische Oberste Landesgericht („BayObLG") hat mit Urteil vom 28. Februar 2024 in einem Musterfeststellungsklageverfahren gegen die Sparkasse Nürnberg (Az. 101 MK 1/20) über die Kündigung und nachträgliche Zinsanpassung verschiedener Prämiensparmodelle entschieden. Das Urteil reiht sich in einer Vielzahl von Punkten in die bisherige höchst- und oberlandesgerichtliche Rechtsprechung ein. Bemerkenswert ist aber, dass das BayObLG hinsichtlich der Frage, wie eine Veränderung des Referenzzinssatzes auf den Vertragszins übertragen wird, mit überzeugender Begründung den absoluten Zinsabstand (Differenzmethode) als die allein interessengerechte Lösung angesehen hat. Damit stellt sich das Gericht gegen die Rechtsprechung des BGH, der bei der Zinsanpassung einen relativen Zinsabstand (Verhältnismethode) zugrunde legt.
1. Ausgangssituation
Dem BayObLG lagen verschiedene „S-Prämiensparen flexibel“-Verträge zugrunde, die durch die Vereinbarung einer variablen Grundverzinsung und einer steigenden Prämienstaffel bis zum 15. Sparjahr gekennzeichnet sind. Hinsichtlich der Grundverzinsung enthielten die Verträge die folgende variable Zinsanpassungsklausel: „Die Sp. zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, z.Zt. __%, […]“. Bei Einführung der PS-flex-Verträge sah die Rechtsprechung diesen Hinweis auf den variablen Zins als ausreichend an, um das Kreditinstitut einseitig zu einer Zinsänderung zu berechtigen. Vorgaben zum Referenzzins und zu den sonstigen Kriterien, nach denen sich die Zinsanpassung während der Vertragsdurchführung richtet, enthielten die Verträge daher nicht.
Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BGH sind derartige Klauseln ohne weitere vertragliche Vorgaben zur Berechnung des Referenzzinses gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, weil sie dem Kreditinstitut ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gewähren. Die daraus resultierende Vertragslücke ist im Rahmen einer durch das Gericht vorzunehmenden ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Dabei hat das Gericht unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien einen angemessenen Referenzzinssatz zu wählen sowie die weiteren Zinsanpassungsparameter – Zinsabstand, Zinsanpassungsschwelle und Zinsanpassungsintervall – festzulegen.
Hinsichtlich des Zinsabstandes stellt der BGH in seinen bisherigen Entscheidungen auf den relativen Zinsabstand ab. Er begründet dies damit, dass nur durch die Wahrung des Äquivalenzprinzips günstige Zinskonditionen günstig blieben und umgekehrt. Zudem werde nur so das Absinken des Vertragszinses auf Null oder ins Negative verhindert, denn die Anwendung der Verhältnismethode führe bei einem positiven Referenzzinssatz stets zu einem positiven Vertragszinssatz. Zudem sei gewährleistet, dass der anfängliche relative Abstand des Vertragszinses zum Referenzzinssatz konstant und damit das Grundgefüge der Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibe.
Die Frage, welcher Zinsabstand interessengerecht ist, ist auch im Nachgang zu den Entscheidungen des BGH weiterhin umstritten. Die Verwendung des absoluten Zinsabstandes war und ist sowohl für Kreditinstitute als auch für Verbraucher bereits aus wirtschaftlichen und kalkulatorischen Gründen die gängige Zinsanpassungsmethode. Die dieser Methode zugrunde liegenden Vorteile werden auch nach – und entgegen – der Rechtsprechung des BGH in zahlreichen noch anhängigen Einzelklage- und Musterfeststellungsklageverfahren sowohl von den beklagten Kreditinstituten als auch von gerichtlich bestellten Sachenverständigen betont.
Dieser Argumentation anschließend hat sich nunmehr auch das BayObLG für die Anwendung des absoluten Zinsabstandes ausgesprochen und sich damit gegen die Rechtsprechung des BGH gestellt. Das BayObLG begründet seine Entscheidung damit, dass nur dies den typischen Vorstellungen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss entspreche.
2. Unmittelbare Erkennbarkeit der Entwicklung der Zinsänderung durch den Sparer maßgeblich
Da im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung eine Referenzzinsreihe herangezogen werde, welche die Verzinsung einer Anlage mit vergleichbaren Merkmalen möglichst weitgehend abbildet, müsse auch die Zinsanpassungsmethode gewährleisten, dass eben diese Entwicklung im Sparvertrag parallel nachvollzogen werde. Dem werde nur die Wahl des absoluten Zinsabstands gerecht.
Nach dem Verständnis und der typischen Erwartung eines fiktiven typischen Sparers bewege sich der Vertragszins parallel zu den Änderungen des Referenzzinses. Die Entscheidung des Sparers, den Sparvertrag mit dem Kreditinstitut abzuschließen oder sich nach besseren Angeboten anderer Marktakteure zu erkundigen, werde auch von der Wahl des Zinsabstandes beeinflusst. Der absolute Zinsabstand sei im Vergleich zum relativen Zinsabstand unmittelbar zu erkennen, was bei einer beispielhaften Gegenüberstellung der unterschiedlichen Zinsanpassungsmethoden deutlich werde. So erkenne der Sparer unter Verwendung des absoluten Zinsabstandes bei einem Referenzzinssatz von 5% und einem anfänglichen Vertragszins von 5,5 % oder 6 % oder lediglich 4,8 % oder 4,5 %, 4 % oder 3 %, dass der Vertragszins jeweils um 0,5 oder 1 Prozentpunkte über bzw. 0,2 oder 0,5, 1 oder 2 Prozentpunkte unter dem Referenzzinssatz liege.
Bei der Verhältnismethode müsse der Sparer hingegen erkennen, dass der anfängliche Vertragszins zum Referenzzins im Verhältnis von 5,5:5 (6:5 ; 4,8:5 ; 4,5:5 ; 4:5 oder 3:5) stehe und somit das 1,1-fache oder 1,2-fache bzw. lediglich 0,96-fache, 0,9-fache, 0,8-fache oder 0,6-fache des Referenzzinssatzes ausmache. Dies vergegenwärtige sich der Sparer typischerweise nicht, insbesondere wenn der Referenzzinssatz Nachkommastellen aufweise. Dass die Verhältnismethode auch für den umgekehrten Fall – der anfängliche Vertragszins ist höher als der Referenzzinssatz – zu keinen interessengerechten Ergebnissen gelangt, liegt in Anbetracht dieses Beispiels auf der Hand.
3. Äquivalenzverhältnis durch Anwendung des absoluten Zinsabstandes gewahrt
Auch das vom BGH geforderte Äquivalenzverhältnis sieht das BayObLG in der Anwendung des absoluten Zinsabstands gewahrt, denn ein anfänglich über bzw. unter dem Referenzzins liegender Zinssatz werde bei Änderungen während der Vertragsdurchführung stets über bzw. unter dem Referenzzinssatz liegen. Er werde also im Vergleich zum Marktumfeld günstig oder ungünstig sein. Ob die Spareinlage für den Verbraucher günstig oder ungünstig sei, bestimme sich schließlich danach, ob die mit dem Sparvertrag erzielten Erträge (Zinsen und Prämien) über oder unter den durchschnittlichen Renditen vergleichbarer Anlagen liegen, die am Kapitalmarkt angeboten werden.
4. Absinken auf oder unter Null ist bei beiden Zinsanpassungsmethoden durch Einschränkungen zu vermeiden
Auch das Argument des BGH, dass die Verhältnismethode besser geeignet sei, ein Absinken des Vertragszinses auf oder unter Null zu verhindern, hält das BayObLG nicht für stichhaltig und überzeugend. Sowohl unter Anwendung der Verhältnismethode als auch unter Anwendung der Differenzmethode sind im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung Einschränkungen vorzunehmen, die verhindern, dass der Zinssatz nicht auf oder unter Null rutsche.
5. Grundgefüge der Vertragskonditionen wird durch die Anwendung des absoluten Zinsabstands gewährleistet
Das BayObLG stellt sich auch gegen das vermeintliche Argument des BGH, dass nur die Verhältnismethode das Grundgefüge der Vertragskonditionen erhalte und argumentiert, dass es im Gegenteil sogar nicht ausgeschlossen sei, dass unter Anwendung der vom BGH geforderten Verhältnismethoden das Grundgefüge der Vertragskonditionen gestört werde. Das Gericht bezieht sich insoweit auf die oben dargestellten Beispielsrechnungen.
Ferner entstehe auch keine vom BGH angenommene überzogene Marge der Bank. Da allein der herangezogene Referenzzinswert diejenige Größe sei, die die Entwicklung einer Alternativanlage der Sparer mit größtmöglichem Näherungswert abbilde, würde die Anwendung der Verhältnismethode bei gleichzeitigem Abstellen auf diesen Referenzwert zu einer gegenüber der Alternativanlage verzerrten Zinsentwicklung im Sparvertrag und damit zu einer Wegbewegung von der Alternativanlage führen.
Schließlich stellt das BayObLG klar, dass die Verwendung des absoluten Zinsabstandes lediglich dazu führe, dass die Marge im veränderten Zinsumfeld gleichbleibe. Ziel sei es jedenfalls nicht, dem Kreditinstitut eine fixe absolute Marge zu sichern.
6. Zusammenfassung und Ausblick
Die Entscheidung des BayObLG stellt die umstritten gebliebene Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf die Zinsanpassungsmethode zurecht in Frage. Dabei setzt es sich ausführlich mit den Argumenten und Gegenargumenten beider Zinsanpassungsmethoden auseinander und kommt überzeugend zu dem Schluss, dass die Wahl eines absoluten Zinsabstandes aus ex ante-Perspektive insbesondere für den Sparer von Vorteil ist, weil sie für ihn unmittelbar erkennbar ist. Auch für das Kreditinstitut ist die Anwendung eines absoluten Abstands einfacher zu handhaben und marktüblich. Unterm Strich entspricht die Anwendung der absoluten Zinsanpassungsmethode den bei der maßgebenden objektiv-generalisierenden Sicht den typischen Vorstellungen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss.
Die vom BGH befürwortete Verhältnismethode weist im Vergleich zur Differenzmethode keine nennenswerten Vorteile, sondern stattdessen sogar beträchtliche Nachteile auf. Sie führt nicht nur dazu, dass stets eine dem Sparer nicht zumutbare Berechnung des relativen Verhältnisses erforderlich ist. Auch führt sie zu ungerechten Ergebnissen, wenn der Referenzzinssatz geringer als der Vertragszinssatz ist. Schließlich sind auch unter Anwendung der relativen Zinsanpassungsmethode Einschränkungen vorzunehmen, um ein Absinken des Vertragszinssatzes auf oder unter Null zu vermeiden, sodass die Argumente des BGH im Kern nicht überzeugen.
Das Urteil des BayObLG zeigt, dass trotz einer Vielzahl von Entscheidungen zur Thematik Zinsanpassung bei Prämiensparverträgen noch nicht alle Zinsanpassungsmodalitäten im Detail geklärt sind und von der Rechtsprechung einheitlich beurteilt und entschieden werden. Die klagenden Verbände haben, soweit ersichtlich, stets den relativen Zinsabstand verteidigt, so dass auch in diesem Musterfeststellungsklageverfahren möglicherweise erneut der BGH das letzte Wort haben wird. Es wird spannend bleiben zu beobachten, ob die Instanzgerichte sich in den weiterhin zahlreichen noch anhängigen Einzelklage- und Musterfeststellungsklageverfahren der Argumentation des BayObLG anschließen werden.
Einer der Schwerpunkte der Dispute Resolution Praxis von PwC Legal ist die Vertretung von Unternehmen bei der Abwehr von Kollektiv- und Massenklagen, wobei auch state-of-the-art Legal Tech-Lösungen zum Einsatz kommen. Insbesondere bei dem schon bislang vorgesehenen Instrument des kollektiven Rechtsschutzes im deutschen Recht – der Musterfeststellungsklage – hat das Dispute Resolution Team umfangreiche Praxiserfahrungen. Gleiches gilt für die Abwehr von Verbandsklagen nach dem UKlaG.