Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

Stärkung der europäischen Unabhängigkeit im Pharmasektor: EU-Kommission genehmigt die Beihilfen Österreichs für Sandoz

Verfasst von

Kerstin Rohde

Die EU-Kommission hat mit ihrem Beschluss SA.62915 (2022/N) – Austria – Aid for maintaining Sandoz penicillin production in Kundl (Tyrol) vom 27.07.2023 festgestellt, dass die beabsichtigte Beihilfe Österreichs zugunsten der Sandoz GmbH (nachfolgend „Sandoz“) mit Artikel 107 Abs. 3 lit. c AEUV vereinbar ist.

Hintergrund

Die österreichische Regierung gewährt Sandoz, einem Hersteller von Penicillin-Antibiotika und Tochtergesellschaft der Novartis-Gruppe, einen direkten, nicht rückzahlbaren Zuschuss in Höhe von € 28,8 Mio, bestehend aus Investitions- und Betriebsbeihilfen, zur Unterstützung der Modernisierung der Amoxicillin-Produktionsprozesse in Kundl. Sandoz ist der einzige europäische Hersteller des Zwischenprodukts 6-APA, womit er die komplette Amoxicillin-Produktion innerhalb Europas durchführt. Diese Produktion soll durch die Modernisierung umweltfreundlicher und innovativer werden, einschließlich der Einsparung von Energie und Rohstoffen sowie des Einsatzes neuer Technologien. Die Gesamtinvestitionskosten für das Modernisierungsprojekt belaufen sich auf rund 150 Millionen Euro. Etwa 100 Millionen Euro wird Sandoz aus eigenen Mitteln finanzieren. Neben dem Direktzuschuss, der Gegenstand des Kommissionsbeschlusses ist, gewährte Österreich Sandoz auch Beihilfen i. H. v. etwa € 10-15 Mio. aus bestehenden nationalen Förderprogrammen.

Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt

Die EU-Kommission stellte ohne nähere Begründung fest, dass keine ermessensleitenden Leitlinien, wie beispielsweise die Regionalleitlinien, auf die zu beurteilende Maßnahme anwendbar sind. Daher entschied die EU-Kommission unmittelbar auf Grundlage des Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV und prüfte,

  1. ob die Beihilfe zur Entwicklung einer wirtschaftlichen Tätigkeit oder eines Wirtschaftsgebiets beiträgt;
  2. ob die positiven Effekte der Beihilfe die negativen Effekte, die durch die Verzerrung des Wettbewerbs entstehen, überwiegen, sodass keine unzulässige Beeinträchtigung der Handelsbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten vorliegt.

Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete

Die EU-Kommission sieht die Beihilfe als entscheidend an, um die integrierte Produktion von Amoxicillin-Wirkstoffen in der EU aufrechtzuerhalten und so die wirtschaftliche Tätigkeit im Binnenmarkt zu fördern. Der gesamte Produktionsprozess von Amoxicillin wird innerhalb der EU ausschließlich von Sandoz durchgeführt. Andere Hersteller beziehen Zwischenprodukte, wie das 6-APA, aus dem nichteuropäischen Ausland. Insbesondere vor dem Hintergrund von Lieferengpässen während der Covid-19-Pandemie stärkt die Beihilfe die europäische Gesundheitsversorgung und die strategische Unabhängigkeit der EU, indem sie die Produktion in Europa sichert und das Risiko einer Unterversorgung reduziert.

Ausnahmefall: Betriebsbeihilfen

Neben Investitionsbeihilfen gewährt Österreich Sandoz auch Betriebsbeihilfen. Laut Rechtsprechung erfüllen Betriebsbeihilfen die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV nicht. Sie erhalten bloß eine bestehende Situation aufrecht oder senken Betriebsausgaben, die ein Unternehmen im Rahmen seiner normalen Geschäftstätigkeit hätte tragen müssen. Sie können somit nicht als Förderung der Entwicklung einer wirtschaftlichen Tätigkeit angesehen werden. Im vorliegenden Fall wäre die Produktion indes nach Asien verlagert worden, da die globale Konzentration der Amoxicillin-Produktion in Asien eine profitable Produktion in Europa extrem herausfordernd gemacht hat. Die Produktion in Asien ist effizienter und kostengünstiger. Die Produktion in Europa ist vor diesem Hintergrund nicht wettbewerbsfähig/wirtschaftlich. Für Sandoz wäre die Fortsetzung der Amoxicillin-Produktion nur dann sinnvoll, wenn die erforderlichen Zwischenprodukte aus Asien bezogen würden, anstatt sie in Europa selbst herzustellen. Alle 6-APA-Lieferungen für Europa würden dann aus einem einzigen Land außerhalb der EU bezogen. Die EU-Kommission stellte daher fest, dass sowohl die Betriebs- als auch die Investitionsbeihilfe notwendig sind, um die Produktion in der EU aufrechtzuerhalten und die Entwicklung einer wirtschaftlichen Tätigkeit fördern.

Positive und negative Effekte der Beihilfe

Die EU-Kommission sah die Auswirkungen der Beihilfe auf den Wettbewerb als begrenzt an, da Sandoz der einzige vertikal integrierte Hersteller von Amoxicillin in der EU ist. Sie ermöglicht eine langfristige Stabilität und Verfügbarkeit kritischer Arzneimittel in der EU. Die Beihilfe führt nicht zu einer Kapazitätserhöhung auf dem Binnenmarkt, sondern ermöglicht die Modernisierung und Rationalisierung der Produktionsanlagen in Kundl, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Da Sandoz der einzige vertikal integrierte Amoxicillin-Produzent in der EU ist und sein Anteil an der Produktion von Amoxicillin-Wirkstoffen deutlich geringer ist als der des einzigen Konkurrenten Centrient Spain, der die vorgelagerte Komponente 6-APA aus Asien bezieht, sei die Auswirkung auf den Wettbewerb und Handel zwischen den Mitgliedstaaten sehr begrenzt. Die Beihilfe wird als angemessen und verhältnismäßig angesehen. Sie ist auf das notwendige Minimum beschränkt, um die Investition zu ermöglichen. Die Berechnung der Finanzierungslücke zeigt, dass das Projekt ohne Unterstützung unrentabel wäre. Die Beihilfe deckt genau diese Lücke ab, ohne sie zu überschreiten. Außerdem sind die Annahmen der Finanzierungslückenanalyse marktgerecht und konservativ. Andere Finanzierungsinstrumente wie Darlehen oder Garantien wären nicht geeignet, die Rentabilität des Projekts sicherzustellen.

Die Beihilfe gewährt Sandoz keine Wettbewerbsvorteile, die das Unternehmen nicht auch ohne hätte erhalten können. Die EU-Kommission stellte insoweit fest, dass Sandoz den gleichen Wettbewerbsvorteil auch durch eine Produktionsverlagerung nach Asien erreicht hätte. Auch die Schließung des Werks in Spanien ist aus Sicht der EU-Kommission keine übermäßige negative Auswirkung der Beihilfe, weil diese auch ohne Beihilfe erfolgt wäre. Zudem gibt es keine schwerwiegenden negativen Effekte auf den Wettbewerb.

Fazit

Dieser Beschluss der EU-Kommission zeigt, dass Beihilfen, insbesondere auch Betriebsbeihilfen, im Einklang mit Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV gewährt werden können, wenn sie die Sicherung kritischer Produktionskapazitäten fördern und langfristig die Wettbewerbsfähigkeit und strategische Unabhängigkeit der EU stärken. Dabei ist die EU-Kommission von ihrem in den sektorübergreifend geltenden Regionalleitlinien niedergelegten Grundsätzen, Investitions- und Betriebsbeihilfen nur in Fördergebieten, abgewichen.

Mit ihrem Beschluss hat die EU-Kommission somit eine neue Entscheidungspraxis geschaffen, anhand der sie auch in Zukunft gemessen werden wird. Es bleibt abzuwarten, ob dies ein Einzelfall bleibt oder ob die EU-Kommission zur Verwirklichung einer stärkeren Unabhängigkeit von Drittstaaten im Zusammenhang mit strategisch und kritisch wichtigen Sektoren nun vermehrt in ähnlicher Weise entscheiden wird.

Verfasst von Kerstin Rohde und Philipp Laudenbach.