Renaissance der Rentnergesellschaften? Haben die Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an eine hinreichende Kapitalausstattung von Rentnergesellschaften auch heute noch Gültigkeit?
Der Anlass
Die fortschreitende Niedrigzinsphase hat die Pensionsrückstellungen für Pensionszusagen in den Unternehmensbilanzen stetig ansteigen lassen. Viele Arbeitgeber beschäftigen sich deshalb aktuell mit bilanzwirksamen Restrukturierungen von Zusagen der betrieblichen Altersversorgungen.
Insbesondere rückt in jüngster Zeit erneut die Auslagerung der Pensionsverpflichtungen auf Rentnergesellschaften in den Fokus.
Die Gestaltungs-Idee
Aus zivilrechtlicher Sicht wird eine vollständige Enthaftung des auslagernden Unternehmens angestrebt, in dem Rentnerbestände vom Unternehmen in eigene Gesellschaften abgespalten und diese dann an Investoren veräußert werden. So soll bilanziell eine vollständige Ausbuchung der ausgelagerten Verpflichtungen erreicht werden („full settlement“).
Das setzt allerdings voraus, dass das auslagernde Unternehmen keinerlei Haftung gegenüber den betroffenen Rentnern zu tragen hat. Maßstab dafür ist die nunmehr über 10 Jahre alte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 11.03.2008 (3 AZR 358/06, „Rentnergesellschaft-Urteil“), das bestimmte Kriterien an eine ausreichende Ausstattung der Rentnergesellschaft stellt.
Im Bestreben eine möglichst marktgerechte Ausstattung erbringen zu müssen, lassen sich Arbeitgeber und Berater zuweilen verleiten, die Anforderungen des BAG „weiterzuentwickeln“. So besteht insbesondere bei nach internationalen Bilanzierungsgrundsätzen bilanzierenden Unternehmen das Interesse, die erforderliche Kapitalausstattung nach dem für die Rückstellungsberechnung angesetzten Rechnungszinssatz zu bestimmen.
Dennoch ist für das auslagernde Unternehmen Vorsicht geboten. Nicht alle Ausstattungsformen, die sich in der Praxis etablieren, können als hinreichend anerkannt werden.
Im „worst case“ erweist sich erst nach Abschluss der gesamten Transaktion, dass die vorgenommene Ausstattung nicht den Kriterien des BAG genügt hat. In diesem Fall wird auch bilanziell kein „full settlement“ erreicht. Vor Abschluss der entsprechenden Verträge sollte daher unbedingt unter anwaltlicher Begleitung mit dem zuständigen Wirtschaftsprüfer geklärt werden, ob die beabsichtigte Ausstattung der Gesellschaft mit den Kriterien des BAG vereinbar ist.
Das Rentnergesellschaft-Urteil
Das BAG leitet die Vorgaben für die Ausstattung von Rentnergesellschaften aus der Nebenpflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ab, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers zu wahren. Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers gilt auch für die Vermögensinteressen der Arbeitnehmer – und im besonderen Maße im Bereich der betrieblichen Altersversorgung!
Nach den Vorgaben des BAG für die Ausstattung von Rentnergesellschaften ist die nach der Auslagerung versorgungspflichtige Gesellschaft (die Rentnergesellschaft) nur dann ausreichend ausgestattet, wenn sie bei einer realistischen betriebswirtschaftlichen Betrachtung genügend leistungsfähig ist. Dabei sind der Zweck und die Wesensmerkmale einer betrieblichen Altersversorgung angemessen zu berücksichtigen. Ähnlich wie bei einer Versicherung ist bei der Bewertung der Aktiva und Passiva entsprechende Vorsicht geboten. Bei der Bewertung von Pensionsverpflichtungen soll das Langlebigkeitsrisiko nach den Sterbetafeln der Versicherungswirtschaft bemessen werden. Zudem sollen die übergehenden Pensionsverpflichtungen mit einem Zinssatz diskontiert werden, der die „Untergrenze“ der als kaufmännisch vernünftig geltenden Bandbreite markiert. Diese lag bei der Rückstellungsbewertung nach altem Bilanzrecht (§ 253 HGB a.F.) bei 3 Prozent.
Signifikate Änderung der wirtschaftlichen und bilanziellen Rahmenparameter
Die wirtschaftlichen und bilanziellen Rahmenparameter für die Bewertung der hinreichenden Kapitalausstattung einer Rentnergesellschaft haben sich seit dem Rentnergesellschaft-Urteil erheblich geändert. Die Zinsvorgabe ist mittlerweile unklar, da das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) bei der Rückstellungsbewertung von einer Bandbreite der Zinssätze Abschied genommen hat. Nach nunmehrigem Bilanzrecht (§ 253 Abs. 2 Satz 1 HGB) sind Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen mit dem entsprechenden durchschnittlichen Marktzins aus den vergangenen zehn Geschäftsjahren abzuzinsen. Dabei darf für Pensionsverpflichtungen pauschal eine Restlaufzeit von fünfzehn Jahren angenommen werden (§ 253 Abs. 2 Satz. 2 HGB). Damit nähert sich die Bewertung der Bilanzierung von Pensionsverbindlichkeiten einer kapitalmarktorientierten Bewertung an. Es ist allerdings unklar, ob dies den Vorstellungen des BAG heute genügen würde.
Das Rentnergesellschaft-Urteil konnte die Änderungen des HGB durch das BilMoG noch nicht berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund wird in der Rechtspraxis vereinzelt die Rechtsauffassung vertreten, dass der vom BAG im Rentnergesellschafts-Urteil für die Beurteilung der hinreichenden Kapitalausstattung zugrunde gelegte Zinssatz nicht mehr zu berücksichtigen ist (zumal es keine Folgerechtsprechung des BAG gibt), sondern vielmehr einzelfallbezogene Kalkulationsgrößen heranzuziehen sind.
Zu beobachten ist, dass deshalb in jüngerer Zeit immer mehr auslagernde Arbeitgeber, die den Jahresabschluss nach Maßgabe der IFRS-Bilanzvorschriften bilanzieren, bei der Bilanzierung ihres Jahresabschlusses einen nach einem prognostizierten IFRS-Zinssatz nach Maßgabe des IAS 19.83 festgelegten Rechnungszinssatz zugrunde legen. Damit folgen sie eher einer progressiven Auslegung des Rentnergesellschaft-Urteils, bei der höchst fraglich ist, ob im heutigen Zinsumfeld die vom BAG im Rentnergesellschaft-Urteil zum gesteigerten kaufmännischen Vorsichtsprinzip aufgestellten Rechtssätze unverändert gelten und ob sie (die progressive Auslegung) dem gesteigerten kaufmännischen Vorsichtsprinzip gemäß den vom BAG im Rentnergesellschafts-Urteil aufgestellten Rechtssätzen genügt. Wegen der verbleibenden Rechtsunsicherheit ist bei der Bilanzierung mit einem nach einem prognostizierten IFRS-Zinssatz nach Maßgabe des IAS 19.83 festgelegten Rechnungszinssatz höchste Vorsicht geboten.
Verwendung der Heubeck 2018G Sterbetafeln anstatt der Sterbetafeln der Versicherungswirtschaft
Auch in Bezug auf die aus der Bilanzierung bekannten Heubeck 2018G Sterbetafeln gilt nichts anderes. Auch hier gilt, dass Folgerechtsprechung des BAG zu den Anforderungen an eine hinreichende Kapitalausstattung fehlt. Daher empfiehlt sich weiterhin eine Orientierung an den im Rentnergesellschaft-Urteil aufgestellten Rechtssätzen des BAG, wonach das Langlebigkeitsrisiko bei der Bewertung von Pensionsverpflichtungen nach den Sterbetafeln der Versicherungswirtschaft, die von einer höheren Lebenserwartung ausgehen und einen Risikozuschlag enthalten, bemessen werden soll. Damit ist jedenfalls sichergestellt, dass dem gesteigerten kaufmännischen Vorsichtsprinzip genügt wird.
Praxishinweis
Auch im heutigen Niedrigzinsumfeld ist wegen der durch das Ausbleiben von Folgerechtsprechung verbleibenden Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die wirtschaftlichen und bilanziellen Rahmenparameter und die Sterbetafeln weiterhin eine Orientierung an den im Rentnergesellschaft-Urteil aufgestellten Rechtssätzen des BAG geboten. Es bleibt spannend, ob aufgrund der zunehmend zu beobachtenden Bilanzierung mit einem nach einem prognostizierten IFRS-Zinssatz nach Maßgabe des IAS 19.83 festgelegten Rechnungszinssatz und der Verwendung der Heubeck 2018G Sterbetafeln bei der Bilanzierung auch Rechtsstreitigkeiten mit Versorgungsempfänger zunehmen, die letztlich in eine Folgerechtsprechung des BAG münden könnten. Angesichts des weiterhin anhaltenden Niedrigzinses besteht ein Interesse auslagernder Arbeitgeber an Rechtssicherheit und deshalb wäre eine Entscheidung des BAG durchaus zu begrüßen.