EU-Kommission verlängert die Dauer der Vorabkontakte im Beihilfeverfahren
Am 16. Juli 2018 hat die EU-Kommission einen neuen „Verhaltenskodex für die Durchführung von Beihilfeverfahren“ veröffentlicht, der den bisherigen Verhaltenskodex aus 2009 sowie die „Mitteilung über ein vereinfachtes Verfahren für die Würdigung bestimmter Kategorien staatlicher Beihilfen“, ebenfalls aus dem Jahr 2009 ersetzt. Im neuen Verhaltenskodex ist nunmehr für Vorabkontakte zwischen den Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission der zeitliche Ablauf erweitert worden. Bislang sah der Verhaltenskodex in Ziffer 3.2. vor, dass die Vorabkontakte im Allgemeinen nicht länger als 2 Monate dauern sollten. Nunmehr ist eine Dauer von bis zu 6 Monaten vorgesehen.
Durch die Verlängerung der möglichen Dauer der Vorabkontakte erfolgt eine Anpassung an die Verfahrenswirklichkeit, da die Praxis gezeigt hat, dass zwei Monate für Vorabkontakte nicht ausreichen, um die vielfältigen, teils sehr komplexen Fragen der EU-Kommission oder des Mitgliedstaates zu einer geplanten Maßnahme vor der förmlichen Anmeldung zu erörtern.
Ziel der Vorabkontakte ist es, über einen offenen und konstruktiven Dialog eine Beschleunigung des Beihilfeverfahrens zu erreichen. So kann mit der EU-Kommission im Vorfeld einer Anmeldung in erster Linie darauf hingewirkt werden, dass der Mitgliedsstaat zur Vervollständigung der Anmeldung die von der EU-Kommission benötigten Informationen liefert. Zugleich liegt der wesentliche Vorteil eines Vorabkontaktes darin, die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte einer geplanten Maßnahme bereits vor der förmlichen Anmeldung zu erörtern und etwaige Änderungen oder Anpassungen der geplanten Beihilfe vorzunehmen, damit die geplante Beihilfe genehmigungsfähig wird. Denn – sofern es die Komplexität des Sachverhaltes zulässt – gibt die EU-Kommission dem jeweiligen Mitgliedstaat vielfach eine erste informelle Einschätzung der geplanten Maßnahme und unverbindliche Hinweise zur Vollständigkeit des Anmeldungsentwurfs.
In dem neuen Verhaltenskodex ersucht die EU-Kommission die Mitgliedstaaten ausdrücklich, wegen der teils komplexen Sachverhalte Vorabkontakte mit den Kommissionsdienststellen aufzunehmen, bevor die geplante Beihilfemaßnahme bei der Kommission förmlich zur Genehmigung angemeldet wird, um das nachfolgende Notifizierungsverfahren so reibungslos und zügig wie möglich zu gestalten.
Die Überarbeitung des Verhaltenskodexes ist eine Reaktion der EU-Kommission auf einen beihilfenrechtlichen Sachverhalt, über den das Gericht der EU mit Urteil vom 15. November 2018 (Az. T-793/14) entschieden hat. Dem Urteil lag zugrunde, dass das Vereinigte Königreich die EU-Kommission rund 18 Monate vor Beginn der vorläufigen Prüfung der Anmeldung über den Inhalt einer geplanten Beihilfenregelung informiert hatte, mit der angesichts eines erwarteten Nachfragewachstums die Sicherheit der Stromversorgung im Vereinigten Königreich gewährleistet werden sollte. Während dieser 18 Monate übermittelte die EU-Kommission dem Vereinigten Königreich eine Reihe von Fragen zu der geplanten Regelung und entschied schließlich nach einer vorläufigen Prüfung mit Beschluss vom 23. Juli 2014, dass die Regelung mit EU-Beihilfenrecht vereinbar sei.
Mit Urteil vom 15. November 2018 hat das Gericht der EU den Beschluss der EU-Kommission für nichtig erklärt. Zur Begründung hat das Gericht der EU ausgeführt, die EU-Kommission sei zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht in der Lage gewesen, über die geplante Beihilfenregelung abschließend zu entscheiden. Aufgrund der Komplexität des Sachverhaltes und des Umstandes, dass die EU-Kommission erstmalig einen Kapazitätsmarkt zu bewerten hatte, hätte sie weitere Informationen einholen und ein förmliches Prüfverfahren einleiten müssen. Dass die EU-Kommission Bedenken hinsichtlich der geplanten Regelung gehabt habe, zeige sich bereits an der Länge der Voranmeldephase, die mit einer Dauer von 18 Monaten deutlich länger war als der im Verhaltenskodex aus 2009 vorgesehene Zeitraum von 2 Monaten.
Dass sich die EU-Kommission für Vorabkontakte nunmehr bis zu 6 Monate Zeit nimmt, ist damit ihr Kompromiss zwischen Verfahrenswirklichkeit und dem Ziel, das Beihilfeverfahren möglichst zügig zu gestalten.