EU Chips Act – Ein Überblick über die Halbleiterstrategie der EU-Kommission aus beihilfenrechtlicher Perspektive
Als Reaktion auf die während der COVID-19 Pandemie deutlich gewordenen Schwächen in der Wertschöpfungskette für Halbleiter hat die EU-Kommission ihren Entwurf des Chip-Gesetzes (EU Chips Act) vorgestellt. Dieser soll in Europa den Weg für ein Chips-Ökosystem ebnen, das Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionskapazitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette umfassen wird. Flankiert wird dieser Entwurf von der Mitteilung „Ein Chip-Gesetz für Europa“, welche auf der Mitteilung zur Wettbewerbspolitik aufbaut und ausführt, wie die EU-Kommission Beihilfen unmittelbar auf Grundlage von Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV prüfen und genehmigen kann.
Das Maßnahmenpaket
Das unter dem Chip-Gesetz verstandene Maßnahmenpaket soll aus den folgenden drei Rechtsakten bestehen:
- Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines Rahmens von Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Halbleiter-Ökosystems (das eigentliche Chip-Gesetz),
- Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/2085 zur Gründung der Gemeinsamen Unternehmen im Rahmen von Horizont Europa (Teilumsetzung der ersten Säule des Chip-Gesetzes) und
- Empfehlung der EU-Kommission über ein gemeinsames Instrumentarium der Union zur Behebung von Lieferengpässen bei Halbleitern und einen EU-Mechanismus zur Überwachung des Halbleiter-Ökosystems (Umsetzung der dritten Säule des Chip-Gesetzes).
Inhaltlich soll sich das eigentliche Chip-Gesetz aus drei Säulen zusammensetzen, von denen die ersten beiden beihilferechtliche Implikationen haben:
- Säule – Die Initiative „Chips für Europa“: Die Resilienz des Binnenmarktes soll gestärkt werden, indem die technologischen Halbleiterkapazitäten und -innovationen in der EU ausgebaut werden. Hierfür soll eine kombinierte Finanzierung über das „Gemeinsamen Unternehmen Chips“ im Rahmen von Horizon Europe und Digital Europe ermöglicht werden.
- Säule – Versorgungssicherheit: Ziel ist der Aufbau von Produktionskapazitäten in der Halbleiterfertigung durch neuartige integrierte Produktionsanlagen und offene EU-Fertigungsstätten („first-of-a-kind-facility“). Für diese Anlagen sollen die Mitgliedsstaate Beihilfen und Beihilferegelungen bereitstellen sowie administrative Unterstützung ermöglichen können. Die EU-Kommission sieht in diesen Anlagen ein öffentliches Interesse, das wohl auch bei einer beihilferechtlichen Bewertung eines Vorhabens berücksichtigen.
- Säule – Aufsicht und Krisenmanagement: Überwachung von Angebot und Nachfrage mit der Möglichkeit, dass die EU-Kommission bei Engpässen Maßnahmen ergreifen kann.
Die Mitteilung der EU-Kommission „Ein Chip-Gesetz für Europa“
In der Mitteilung „Ein Chips-Gesetz für Europa“ führt die EU-Kommission aus, wie sie in Zukunft Beihilfen zugunsten bestimmter Investitionsvorhaben der Halbleiterindustrie auf ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt hin prüfen wird. Danach sollen bestimmte Fälle, soweit der Anwendungsbereich spezieller Leitlinien nicht eröffnet ist, unmittelbar auf Grundlage des Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV geprüft werden.
Hierfür setzt die EU-Kommission in ihrer Mitteilung bereits bestimmte Kriterien fest. So wird die angekündigte unmittelbare Anwendung auf sog. first-of-a-kind-facilities i.S.d. Chip-Gesetzes beschränkt, die im Rahmen eines parallel zum beihilferechtlichen Genehmigungsverfahren laufenden Prüfverfahrens durch die EU-Kommission als solche anerkannt werden. Erfasst werden sollen dadurch neuartige Produktionsanlagen, die Technologien herzustellen, die über den aktuellen Stand der Technik der Union hinausgehen. Ferner soll sich die Unterstützung auf Bereiche beschränken, in denen eine hinreichend zuverlässige Versorgung in der Union nicht gegeben ist und dass keine bestehenden oder geplanten privaten Initiativen verdrängt werden.
Bei der im Rahmen der Vereinbarkeitsprüfung erfolgenden Abwägung positiver und negativer Auswirkungen, werden nach der Mitteilung vor allem die bekannten, grundsätzlichen beihilferechtlichen Voraussetzungen geprüft:
- Die Beihilfe muss mithin einen Anreizeffekt haben (Beihilfen dürften nicht für Investitionen gewährt werden, die vor Einreichung des Beihilfeantrags bereits beschlossen waren) sowie
- erforderlich (die Investition würde ohne die Beihilfe nicht getätigt werden),
- geeignet (die finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln ist ein geeignetes Instrument) und
- angemessen (die Beihilfe ist auf das notwendige Minimum beschränkt) sein.
Im Rahmen der Angemessenheit kann die EU-Kommission dabei es als gerechtfertigt ansehen, dass eine hinreichend nachgewiesene Finanzierungslücke bis zu 100% mit öffentlichen Mitteln gedeckt wird.
Bei der Angemessenheitsprüfung kann die EU-Kommission nach der Mitteilung positiv weitere Auswirkungen berücksichtigen, die etwa darin bestehen könne, dass
- die Anlagen ohne Fortsetzung der Betriebskostenunterstützung langfristig wirtschaftlich sind,
- klare Verpflichtungen zur weiteren Innovation im Halbleiter-Ökosystem der Union eingegangen wurden,
- sich das geförderte Vorhaben positiv auf die Halbleiter-Wertschöpfungskette auswirkt, weil die Versorgungssicherheit gesichert und die Zahl qualifizierter Arbeitsplätze erhöht wird,
- sich das geförderte Vorhaben auf das Innovationspotenzial von KMU und vertikalen Industriezweigen positiv auswirkt, die direkt und innerhalb der EU Zugang zu innovativen Produkten erhalten,
- das Vorhaben zu anderen Vorteilen führt, die diskriminierungsfrei in der gesamten EU-Wirtschaft weitergegeben werden können, insbesondere die weiteren Bedingungen für die Anerkennung offener EU-Fertigungsbetriebe und integrierter Produktionsstätten, (z.B. die Pflicht zur Investition in die nächste Chip-Generation) oder
- das Vorhaben weitere positive Beiträge zur Kohäsion und grenzübergreifende Zusammenarbeit leistet.
Schlussfolgerungen aus der Veröffentlichung des Entwurfs des Chip-Gesetz-Pakets
Die EU-Kommission kann die neuen Kriterien zur Anwendbarkeit von Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV ab sofort umsetzen und hat sich daher bei der Genehmigung von Beihilfen auch kurzfristig mehr Handlungsspielraum eingeräumt, um auf die gestörten Lieferketten zu reagieren. Gegenwärtig beschränkt die EU-Kommission die Mitteilung auf bestimmte Vorhaben in der Halbleiterindustrie. Ob dies eine Blaupause für andere betroffene Branchen wird, bleibt abzuwarten.
Inhaltlich basiert die in der Mitteilung „Ein Chip-Gesetz für Europa“ ausgeführten Struktur der Vereinbarkeitsprüfung auf der bekannten beihilferechtlichen Praxis der EU-Kommission. Die zu berücksichtigenden besonderen Kriterien scheint die EU-Kommission aus verschiedenen anderen beihilferechtlichen Leitlinien und Mitteilungen abgeleitet zu haben (so z.B. aus der IPCEI-Mitteilung: Spill-over entlang der Wertschöpfungskette, Neuartigkeit der Anlagen). Es ist daher abzuwarten, welche Anwendungspraxis sich aus der Mitteilung entwickelt. Dies betrifft insbesondere das Zusammenspiel mit dem Chip-Gesetz bei der Vereinbarkeitsprüfung. Den Aussagen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zufolge dürfte ein erster Anwendungsfall der in der Mitteilung ausgeführten Vereinbarkeitsprüfung in Kürze vorliegen (siehe https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2022/03/20220315-habeck-intel-investition-in-magdeburg-wichtiger-impuls-fur-wirtschaft-in-schwieriger-zeit-und-zentraler-sprung-fur-die-digitale-souveranitat-europas.html).